Warum wir in Schubladen denken und was uns das über uns selbst verrät
“Der Neue sorgt für Unruhe”
Ihr kennt sicher alle diese Situationen, wenn “jemand Neues dazu kommt”.
Dann verspürt man eine gewisse Nervosität, Anspannung und Unsicherheit – manche Menschen haben sogar richtige Angst davor (z.B. Menschen mit einer Sozialphobie).
Man kann aber auch gleichzeitig neugierig, gespannt und in freudiger Erwartung sein. Oft ist es eine Mischung aus beidem und man weiß gar nicht so richtig, was man gerade fühlen soll.
Drei Beispiel-Situationen, die euch vielleicht bekannt vorkommen
- Bei eurer Arbeit fängt ein neuer Mitarbeiter an und sitzt euch ab sofort am Schreibtisch gegenüber.
- Euer Bro bringt spontan einen Bekannten mit zum Stammtisch, den ihr selbst aber noch nicht kennt.
- Ihr wartet im Supermarkt an der Kasse. Plötzlich fällt euch eine fremde Person in der Schlange besonders ins Auge, da sie irgendwie etwas “Spezielles” an sich hat.
Freund oder Feind? – Die erste Einschätzung kommt aus dem Unterbewusstsein
Unterbewusst bedeutet hier, dass ihr von diesem Prozess nichts mitbekommt. Die Einschätzung passiert sehr schnell und automatisch, ist aber eher wage – so, wie die meisten Prozesse in den älteren Hirnregionen 😉
Euer Gehirn macht das aus evolutionären Gründen. In der Steinzeit war es oft eine Frage des Überlebens, sein Gegenüber (ob Mensch oder Tier) möglichst schnell als Freund oder Feind einschätzen zu können. Unser Gehirn macht das also schon eine ganze Weile und hatte viel Zeit, diese Fähigkeit zu perfektionieren.
Das Gehirn geht mit der Zeit
Auch in der heutigen Zeit macht die schnelle, unterbewusste Einschätzung von Fremden noch Sinn. Im Fokus stehen nun jedoch eher gesellschaftliche Präferenzen, wie sozialer Status oder Gruppen-Zugehörigkeiten.
Darüber hinaus schwelgen wir heutzutage in dem zeitlichen Luxus, die erste schnelle Einschätzung direkt ausgiebig ausschmücken und gedanklich breittreten zu können.
Vorsicht Angst-Falle!
Der echte Gefahren-Sensor kommt seltener zum Einsatz, z.B., wenn wir nachts alleine durch eine dunkle Gasse laufen. Schlägt dieser bei euch trotzdem ständig Alarm, kann dies ein Hinweis auf eine Angststörung, wie z.B. eine Sozialphobie (Angst vor sozialer Interaktion) sein.
Schubladendenken oder “Jeder hat sein eigenes Regal im Kopf”
Das “Personen-Scan-Programm” des Gehirns hat sozusagen viele Schubladen, die stetig über die Wahrnehmung aktualisiert werden. Die Einschätzung beruht immer auf den eigenen Erfahrungen und Grundannahmen des jeweiligen Individuums.
Jeder Mensch hat daher seine eigene Version der Einschätzung einer anderen Person.

Ist der Kläger der Richter und auch der Angeklagte?
Ich will an dieser Stelle nicht gleich die “große Schublade der Intoleranz & Stereotypen” öffnen, euch aber die Risiken des Schubladendenkens aufzeigen. Diese liegen vor allem in der Natur des Menschen, die eigenen Grundannahmen (meist negativ) auf andere zu übertragen.
Durch Projektion wird einem Fremden sozusagen ein Sack voll selbst erdachter Eigenschaften angehängt, von denen man einfach annimmt, dass sie auf diese Person zutreffen.

Tatsache ist jedoch, dass solche Annahmen der EIGENEN Vorstellung entspringen und man nicht wissen kann, ob sie überhaupt stimmen – Zumindest nicht, bis man die Person wirklich kennengelernt (oder hart gestalked) hat, um die selbst generierten Annahmen zu beweisen.
Projektion: “Du bist daran schuld, damit ich nicht daran schuld sein muss!”
In der Psychologie wird der Begriff Projektion als Abwehrmechanismus beschrieben: Damit wir uns nicht mit unseren inneren Konflikten und Unzulänglichkeiten konfrontieren müssen, schreiben wir diese anderen Menschen oder Gruppierungen zu.
Zwei Beispiele, wie Projektion positiv oder negativ ausgelebt werden kann:
- Positiv – Bewunderung: Das gefällt mir am anderen (ich wäre gerne auch so)!
- Negativ – Neid: Ich wäre auch gerne so/hätte das auch gerne, erlaube es mir aber nicht und lehne es deshalb ab!
Der Fall “Silent Bob”: Meine Erfahrung mit Übertragung und negativer Projektion
Vorab: diese Erfahrung hat mich zum Schreiben dieses Beitrages motiviert. Ich habe daraus eine für mich wertvolle Erkenntnis gezogen, die ich mit euch teilen möchte.

>In meinem Fall war es eine nicht besonders spannende Sache. Ich saß vor einiger Zeit mit ein paar Freunden zusammen. Die meisten dieser Leute kannte ich noch nicht so lange. Ich kam aber mit fast jedem super klar und war mit allen am Quatschten…
Mein Problem
Doch da war dieser eine Typ, der passte mir irgendwie von Anfang an nicht! Ich hatte mich noch nicht einmal mit ihm unterhalten, weil er meistens nur auf seinem Stuhl saß und eben nichts sagte. Trotzdem war er schon vor meiner Zeit fester Bestandteil der Clique.
Dadurch fühlte ich mich später irgendwie genötigt, mich bei den anderen über den Kerl auszulassen: “Wer ist das eigentlich?”, “Ist der immer so still? Finde ich echt strange!”, “Über was unterhaltet ihr euch eigentlich mit dem?”, “Also ich finde den Kerl komisch, sorry!”. Die von mir erhoffte Reaktion der anderen Freunde war wohl sowas wie “Ja, der ist ein Spinner, den laden wir bald eh nicht mehr ein!”. Stattdessen bekam ich die gegenteilige Reaktion: “Ja, der ist einfach so, ist halt ein Ruhiger. Vor allem in der Gruppe sagt er meistens nicht viel. Unter vier Augen kann man sich aber gut mit ihm unterhalten.” …und ich muss euch gestehen, das passte mir überhaupt nicht!
Mein eigentliches Problem
Etwas später kam ich auf die glorreiche Idee, mich mal zu fragen, was eigentlich mein Problem war. Ich rekapitulierte nochmal: Er war ein sehr ruhiger, schüchterner, introvertierter Kerl. Viel mehr wusste ich nicht von ihm. Aber er erinnerte mich ein wenig an mich selbst… so wie ich früher einmal war. Das mochte ich nicht, denn früher hatte ich Schwierigkeiten, mich in eine Gruppe einzubringen und Gespräche am Laufen zu halten.
Meine Erkenntnis
Ich erkannte schließlich, das der Kerl mich an eine frühere Version von mir selbst erinnerte, die ich nicht leiden konnte (Übertragung).
Im Gegensatz zu mir früher, war er jedoch fester Bestandteil einer Clique und das trotz seiner Schüchternheit. Das machte die frühere Version von mir neidisch auf ihn. Anstatt mich für ihn zu freuen, weil er diesbezüglich mehr Glück hatte, projizierte ich mein negatives Gefühl auf ihn. So konnte ich ihn als Sündenbock für mein altes Gefühl der Insuffizienz benutzen und musste mich nicht selbst damit konfrontieren.
Ich musste mir eingestehen: Ich hatte richtig derbe negative Projektion betrieben mit dem armen Kerl! Ich fühlte mich schuldig aber auch erleichtert, denn ich hatte meine inneren Annahmen und Konflikte besser verstanden. Dadurch verschwand das Bedürfnis nach Projektion in diesem Fall. Durch diese Erkenntnisse bin ich wieder einmal ein Stückchen weiser und auch ein Stückchen besserer Mensch geworden. FIN.
Fazit: Seid achtsam bei euren Annahmen gegenüber anderen und was das über euch selbst offenbaren kann
Wir denken schon immer und aus guten Gründen in Schubladen. Es geht schnell und warnt uns vor Gefahren. Allerdings sollten wir unsere Schubladen regelmäßig auf Unstimmigkeiten & Widersprüche in uns überprüfen. So können wir bestehende Annahmen überdenken und ggf. revidieren.
Im Idealfall trauen wir uns einfach, das zu sein, was wir sein wollen und lassen andere das sein, was sie sein wollen.
Jetzt seid ihr gefragt:
Hattet ihr schon einmal eine dieser “Akward” Situationen mit fremden Menschen?
Habt ihr richtig Angst, wenn ihr fremden Menschen begegnet?
Habt ihr vielleicht eine ähnliche Story zum Thema Projektion erlebt?
Bitte schreibt es mir in die Kommentare! Besonders zu diesem Thema bin ich sehr gespannt auf euer Feedback! 🙂